Frau Rabinowich erzählt von Kröten

Julya Rabinowich präsentiert ihren neuen Roman „Krötenliebe“ im Wien Museum und erzählt Geschichten wider das Vergessen. Ich durfte moderieren.

Ich hatte natürlich keine Ahnung, wer Paul Kammerer ist. Genauer: Wer er war. Schließlich ist Kammerer seit 1926 tot. Aber trotzdem klingelte es irgendwo im Hinterkopf, als ich „Krötenliebe“ aufschlug: Irgendwo und irgendwann hatte ich irgendwas über diesen seltsamen Wissenschafter gehört. Und wieder vergessen. Oder bildete ich mir das nur ein?

Julya Rabinowich

©Wien Museum/Matti Bunzl

Egal. Fakt ist: Ohne Julya Rabinowichs neuesten Roman wäre dieses verschüttete oder eingebildete Wissen nie und nimmer (wieder) an die Oberfläche gespült worden. Und ich hätte keine Ahnung von der Arbeit eines Forschers, der anhand seiner Versuche mit Amphibien und Reptilien nachweisen wollte, dass Lebenwesen erworbenes Wissen weitervererben können.

Ein vergessener Freak

Kammerer war ein Freak. Einer, der an seine These glaubte – und am Versuch sie zu beweisen, scheiterte. Ob als Wissenschafter, als Betrüger oder als Opfer einer Intrige ist nicht ganz klar – und in Rabinowichs Roman nicht das zentrale Thema. Denn die in Wien lebende Autorin beschreibt einen auch und vor allem anderen Paul Kammerer. Einen, der in der Rolle, auf die Rabinowich fokussiert, nicht minder freakhaft ist: Als Mann, Liebhaber und vom Objekt seiner Begierde krankhaft Besessener. Kammerer liebte Alma. Ja, genau die Alma. Alma Mahler, die Femme Fatale einer ganzen Stadt und Epoche. Kammerer war nur einer von vielen Alma-Verehrern. Seine Obsession teilt er – unter anderen – mit Oskar Kokoschka, der in diesem Roan auch eine wichtige Rolle inne hat. Ebenfalls als Freak. Aber diese Geschichte ist bekannter.

Julya Rabinowich

©Tom Rottenberg

Rabinowich präsentierte „Krötenliebe“ Ende Mai im Wien Museum – und ich durfte den Moderator geben: Erstens eine Ehre – und zweitens ein Vergnügen. Schließlich ist Rabinowich nicht nur eine meiner unumstrittenen Lieblingsautorinnen, sondern auch eine brillante Vorleserin – und eine vielleicht sogar noch bessere Gesprächspartnerin.

Rabinowich redet frei

Sie plaudert aus dem Handgelenk. Stegreif: Während andere Autoren Interviewfragen – besonders in Live-Situationen – oft gerne Tage zuvor wissen, kommt Julya (ja, wir sind per Du. No na.) erst knapp vor Beginn der Veranstaltung, lacht & scherzt – und sagt dann, dass sie „vorher lieber gar nicht weiß, was auf sie zukommt.“ Weil Antworten dann spontaner sind. Davon lebt dann nicht nur das Publikum, sondern auch der Diskurs auf der Bühne: Wir führen hier ja kein Kammerspiel mit Skript auf, sondern sollen und wollen reden. Plaudern.

Julya Rabinowich

©Tom Rottenberg

Julya kann und will das. Und mir macht es auch mehr Spaß, zeitgleich wie die gut 120 Zuhörerinnen und Zuhörer zu erfahren, dass die Autorin in ihrer Kindheit ein Buch namens „Krötenkuss“ (oder so ähnlich) im Regal der Eltern entdeckte – und in der Hoffnung, da Abenteuerliches oder gar Unerhörtes zu finden, hineinschmökerte. „Es ging um Paul Kammerer und seine Arbeit – und es war grottentrocken,“ sagt Rabinowich – und lacht: Nein, das gar nicht „grottentrockene“ Buch, das sie nun vorlegt, sei mitnichten Aufarbeitung dieses Lese-Traumas.

Ein Werk wider das Vergessen

Und, nein, es geht hier nicht um die authentische Biographie eines Wissenschafters und Lebemannes, der in beiden Rollen heftig angefeindet wurde. Nebenbei: Kammerers Leben und Werk wird in einem Buch, das der Wissenschaftsjournalist Klaus Taschwer gerade fertig stellt, diesen Herbst genau diese präzise-wissenschaftiche Aufarbeitung und Würdigung erfahren.

Das Buch, sagt Rabinowich, ist auch mehr als die Geschichte einer komplexe-grotesken Dreiecksbeziehung: Es ist ein Werk wieder das Vergessen. Es sei nämlich kein Zufall, dass ich Kammerer nicht kenne. Damit sei ich nicht alleine – und es sei nachgerade symptomatisch, dass einer wie er in einer Stadt wie Wien heute kein Begriff mehr ist.

Julya Rabinowich

©Tom Rottenberg

Kammerer  ist, sagt Rabinowich, da für sie fast schon eine Metapher. Denn er steht auch für das Vergessenwerden Anderer: Auch an das Institut in dem er forschte, erinnert sich heute ja niemand mehr. Dabei wurden in der „Biologischen  Versuchsanstalt“ (von anderen Forschern als Kammerer) beispielsweise die ersten Hormonpräparate entwickelt und hergestellt. Und zuvor war das Gebäude ein riesiges Vivarium – ein gigantisches Schauaquarium, das Teil der Wiener Weltausstellung von 1873 war. 1903 wurde aus diesem Komplex dann die experimentelle „Biologische Versuchsanstalt“ – eine der bemerkenswertesten Forschungsstätten Österreichs im frühen 20. Jahrhundert.

Die Plakette

Heute erinnert daran nur noch eine kleine, bescheidene und kaum zu findende Plakette: Die Versuchsanstalt wurde ab 1938 personell und intellektuell „arisiert“. Ihr Gründer und Leiter, Hans Leo Przibram, starb im KZ. Das Gebäude wurde in den letzten Tagen des Kampfes um Wien zerstört: Heute ist dort, wo mit Paul Kammerer auch Alma Mahler-Werfel arbeitete, von alledem nichts mehr zu sehen. An der Stelle, an der die Versuchsanstalt stand, befindet sich heute der Kinderverkehrsgarten. Hier erklären Polizisten Kindern was Ampeln, Schilder und Bodenmarkierungen bedeuten – und wissen ziemlich sicher nicht, was hier früher einmal war. Wie auch? Die Vernichtung von Wissen, Wissenschaft, die Auslöschung der Erinnerung an das, was Österreich einst – auch – ausmachte durch die Nationalsozialisten hat funktioniert. Beinahe.

Julya Rabinowich

©Tom Rottenberg

Diese Geschichte, die von der Versuchsanstalt, ihrer Marginalsisierung und Vernichtung, steht nicht in „Krötenliebe“. Aber Julya Rabinowich erzählt sie: Auf der Bühne des „Wien Museum“. Nicht ohne Grund: Eben weil Kammerer im Prater wirkte, hat Matti Bunzl, der Direktor des Museums die Autorin in sein Haus geholt: Der Wiener Prater wird heuer 250 Jahre alt. Und um die Geschichte dieses Ortes, der so viel mehr als eine fröhliche Erholungs- und Unterhaltungszone war und ist, vor dem belanglosen Reduzieren auf eine Easy-Go-Happy-Region zu retten und ihre Geschichte aus den dunklen Ecken des kollektiven Vergessens zu holen, hat das Team um Bunzl, allen voran die Kuratorin und Vizedirektorin des Museums, Ursula Storch, eine Ausstellung zusammengestellt, bei der nicht nur Wien-Besuchern, sondern auch Wienern, die glauben ihre Stadt zu kennen, der Atem stockt.

Julya Rabinowich

Nicht der Katalog zur Ausstellung, aber das Buch der Austtellungsmacherin zum Prater-Jubiläum. Ein großartiges und kurzweiliges Nachschlagewerk mit Geschichten zur Geschichte einer Wiener Institution. ©Tom Rottenberg

Ein kleiner Teil dieser Prater-Geschichte ist die der Biologischen Versuchsanstalt. Und ein Teil der Geschichte der Anstalt ist die, über das Leben, das Forschen, das Scheitern und das Sterben eines gewissen Paul Kammerer, die Julya Rabinowich in „Krötenliebe“ erzählt.

Und dass ich am Rande der Geschichten über diese Geschichte als Fragesteller und Zuhörer dabei sein durfte, war einfach schön. Das macht mich dankbar. Und stolz.

Julya Rabinowich

©Tom Rottenberg

Kommentare

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  • Barbara Rauchwarter sagt:

    Danke, ich möchte von beiden viel mehr!!! Das tut so wohl und gut nach all dem Gedröhne auf dem politischen Kasperltheater!

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