Der Balken im Aug: Das Garmin Varia Vision In-Sight Display im Test

Der Balken im Aug: Das Garmin Varia Vision In-Sight Display im Test

Es gibt keine falschen Fragen. Dumme auch nicht. Aber manche Fragen erübrigen sich. Etwa die, ob man das „Garmin Varia Vision In-Sight Display“ braucht.

No na tue ich mir eher schwer, angesichts von Garmins jüngstem Radfahrer-Spielzeug auf  „Und? Braucht man das wirklich?“ mit dem Brustton der Überzeugung zu erklären, dass Radfahren vor dem „Vision In-Sight Display“ nicht ganz war. Und ich mir – jetzt, wo ich mit diesem Teil vor der Nase unterwegs war – nicht vorstellen kann, wie ich je anders, ohne die permanent direkt vor/im Auge präsentierten Fahrt-Parameter, mit dem Rad unterwegs sein konnte.

Garmin Varia Vision In-Sight Display

©Tom Rottenberg

Darum hier ganz klipp & klar: Nein, brauchen, tut man das Teil nicht. Aber wollen (und nicht mehr zurückgeben wollen) schon. Und super finden sowieso.

Aber fangen wir am Anfang an: Im Herbst 2015 kündigten Garmins Presse- und Marketingleute ihr erstes „Head Up“-Display für Radfahrer an. In der auf smarte Rad-Anwendungen spezialisierten „Varia“-Serie, hieß es, würde der Navi-, Lauf- und Sportcomputergigant neue Sicht- und damit Sicherheitsstandards setzen. Der Blick von der Straße weg, hinunter auf den Radcomputer, würde ab dem Frühjahr der Vergangenheit angehören. Im Jänner durften Fachbesucher der CES 2016 dann (im sicheren Messe-Umfeld) Prototypen anfassen: Auf dem Bügel einer Radbrille war ein an ein Bluetooth-Freisprechgerät erinnerndes Teil montiert. Statt vor den Mund führte es aber vor die Brille – also vors Auge.

Garmin Varia Vision In-Sight Display

©Tom Rottenberg

Wo sonst das Mikro sitzt, waren Lichtpunkte: Daten, die man sonst am Bike-Computer sieht: Strecke, Tempo, Puls, Steigung … Das volle Programm – aber eben direkt vor dem Auge. Viel mehr als einen kurzen Blick und eine ausführliche Pressemappe gab es da noch nicht: Lieferbar war das Gerät erst im Frühjahr. Soweit so normal.

Normal war auch, was nach der CES geschah: In der Fachpresse teilten sich Spreu und Weizen. Die einen erwähnten das Teil als Messe-Präsentation, brachten ein, zwei Fotos und erklärten, was, wo und wieviel sie gesehen hatten. Die anderen taten, als hätten sie das „Vision Display“ selbst auf Herz und Nieren getestet, schrieben das Presse-Factsheet ab – und brüllten „Erster!“

Garmin Varia Vision In-Sight Display

©Tom Rottenberg

Vorige Woche – Anfang April – landete das Gerät dann bei mir: 29 Gramm leicht, klein, handlich – und (im Gegensatz zu meinem letzten Garmin-Test-Dings, dem „Rearview Radar Bundle„) nicht nur laut Betriebsanleitung, sondern tatsächlich sofort betriebsbereit: Mit dem „Edge“ (Garmin stellte mir den Edge 1000 zur Verfügung) koppeln war so einfach, dass es fast peinlich ist, es überhaupt zu erwähnen.

Am Display war sofort alles, was dort sein soll. Genauer: Ein paar vorab konfigurierte Standard-Datenseiten, die aber – sogar unterwegs – via Edge kinderleicht „ad libitum“ umbaubar und individualisierbar sind: Puls, Trittfrequenz, Zeit, Runden, Anstiege, Wattzahlen und so weiter…  In jeder erwünschten Kombination – solange es nicht mehr als vier Angaben pro „Bildschirm“-Seite sind.

Garmin Varia Vision In-Sight Display

©Tom Rottenberg

Nicht „customizable“ dürfte lediglich die Dachzeile sein, in der Batteriestand, Uhrzeit und Temperatur angezeigt werden. Dass letztere in Fahrenheit da stand und ich es (unterwegs) nicht schaffte, auf Celsius umzuschalten, schreibe ich a) meinem technischen Unvermögen und/oder der Firmware des Vorab-Testgerätes zu: So etwas ist definitiv kein Bug.

Meine angesichts der PR-Bilder aufkeimenden Bedenken, dass der Bügel direkt vor dem Auge die Sicht einschränken würde, bewahrheiteten sich nicht: Von aussen sieht das Teil zwar massiv und wie ein Zensurbalken über dem Auge aus, aus der „POV“-Perspektive sind da aber trotzdem nie mehr als ein paar Lichtpunkte am Rand des eigenen Blickfeldes.

Garmin Varia Vision In-Sight Display

©Tom Rottenberg

Wo genau? Das lässt sich gut individuell justieren. Allerdings muss man ein bisserl mit der Position des Vision-Bügels am Brillenbügel spielen und kann eventuell auch in (kleinere) Konflikte zwischen Brillen-Gelenk und der optimalen Sicht auf die Daten am äußersten Bildrand kommen: Es zahlt sich aus, die ersten Probekilometer nicht im Straßenverkehr zu machen.

Die Angst, dass die permanent präsenten Daten vom Geschehen auf der Strecke ablenken, zerstreuten sich nach drei Minuten: Natürlich schielte ich anfangs ständig und voll fokussiert auf die Ziffern. Aber das ist bei einem neuen Radcomputer am Vorbau auch nicht anders. Anfangs. Und bei neuen Schuhen.

©Tom Rottenberg

©Tom Rottenberg

Wenn das eine per se gefährliche Ablenkung ist, muss man jedem Auto- und Motorradfahrer sämtliche Displays im ganzen Cockpit abdecken. Jemand, der ausschließlich auf die Tachonadel starrt, nimmt sich aber ohnehin meist recht rasch selbst aus dem Rennen – unabhängig von der Art seines Fahrzeuges. Die Wahrscheinlichkeit, selbst unversehrt zu bleiben, wenn man aufgrund einer solchen Idiotie Unbeteiligte umnietet, ist bei Radfahrern aber deutlich geringer als bei Auto & Co. Das wissen auch die Benutzer. Ein bisserl Vernunft und gesunden Menschenverstand sollte man schon voraussetzen können …

Unterwegs hatte ich jedenfalls nie das Gefühl, abgelenkt zu werden. Im Gegenteil: Nach ein paar Minuten waren die Daten ein fixer, selbstverständlicher Bestandteil meines Straßenbildes. Und egal welche Scheibe ich in die Brille setzte: Kontrast, Lesbar- und Helligkeit passten.

Garmin Varia Vision In-Sight Display

©Tom Rottenberg

Freilich: Auf das Einblenden von Nachrichten aus der Aussenwelt via Bluetooth, Edge und Smartphone verzichtete ich. Wenn ich radfahre, fahre ich Rad. Dass das Head-Up-Dislplay mir beim Navigieren durch Pfeile geholfen hätte, glaube ich angesichts all der anderen perfekt funktionierenden Features ungeschaut – auch ohne es getestet zu haben: Ich fahre am liebsten „intuitiv“. Ohne vorgegebe Route.

Ganz ohne „Aber“ geht es aber nicht: Auch wenn das Teil mit seinen 29 Gramm in die Gewichtskategorie „Nicht der Rede wert“ fällt, sitzt die Radbrille dann doch ein bisserl „unwucht“ – egal, ob man das Teil links oder rechts trägt. Auch mit dem Helm gab es (kleinere) Reibereien und Anpassungsdebatten: Endlich weiß ich, wieso es in den „Rules“ der „Velominati“  heißt, dass Brillen immer oberhalb der Riemen zu tragen sind. (Die „Keepers of the Cog“ sagen allerdings, dass sie selbst nicht wissen wieso, es aber eben so sei …)

Garmin Varia Vision In-Sight Display

©Tom Rottenberg

Im Ernst: Da muss man ein bisserl spielen & schieben. Und zur Kenntnis nehmen, dass es je nach Helm mit aufgestecktem Insight-Display schwer bis unmöglich sein kann, die Brille in die Lüftungsschlitze des Helmes zu stecken.

Außerdem: Um zwischen den „Bildschirmen“ des Head-Up-Displays zu wechseln, wischt man leicht und mit dem Finger an der Seite des Bügels. Mit Handschuhen geht das auch – aber nur, wenn es Touch-Display-taugliche Gloves sind – oder man die Fingerspitzen frei hat.

Bleibt zum Abschluss die Eingangsfrage. Die, ob man dieses Gerät wirklich braucht. Natürlich nicht. Nicht als Hobby-Radler. Aber darum geht es nicht: Das Varia Vision In-Sight ist eines von jenen Gadgets, die denen, die damit spielen, einfach Spaß machen. Und wenn etwas sich anfühlt, als wäre es „nützlich“, dann ist es auch so.

Garmin Varia Vision In-Sight Display

©Tom Rottenberg

Ob ich mir den High-Tech-Bügel kaufen würde? Keine Ahnung. Denn mit 399 Euro ist das Gerät nicht gerade billig – erst recht nicht, wenn man dafür, es überhaupt verwenden zu können, auch noch einen Garmin Edge kaufen müsste. Und der einfachste kompatible, der Edge 520, kommt noch einmal auf 309 Euro.

 

  • CyclingClaude

    Sehr guter Artikel. Werde ich bei mir auf der FB-Seite gleich mal weiter posten.
    Ich habe Sonntag den Balken auf V2.4 aktualisiert und seither spinnt das Ding. Es wurden zwischendurch Wattwerte angezeigt, obwohl ich am Rad von gestern keinen Vector habe. Die HF sprang hin und her, bis 250 bpm etc. Auf dem Edge ist alles normal.
    Außerdem ist die Temperaturanzeige des Balkens in F, obwohl der Edge C anzeigt.
    Hast Du auch schon aktualisiert? Alles o.k.?

    • Andreas

      Habe das selbe Problem mit der Temperaturanzeige. Zeigt jetzt immer Fahrenheit – beim Edge1000 ist es Celsius. Hat jemand eine Idee was man machen kann?

  • Merlin

    wenn es das ganze jetzt auch noch für android mobiltelefone zum koppeln gibt, kaufe ich mir eins, wirklich. fast egal was es kostet

    • Dani

      ja oder kompatibel mit der fenix 3 dann bestelle ich noch heute…