Trainingdiaries: Riviera Maison – ein Kältelauf

Trainingdiaries: Riviera Maison – ein Kältelauf

Eigentlich sollte es nur ein gemütlicher Morgenlauf nach der „tödlichen Männergrippe“ werden.  Aber da war noch etwas: „Riviera Maison“ stand auf der Scheibe in der Mauernische. Drunter schlief ein Obdachloser. Es hatte -8 oder -10 Grad.

©Tom Rottenberg

Drei Tage tödliche Männergrippe. Ein Tag Pause. Mehr halte ich nicht aus. Nennen Sie es ruhig Suchtverhalten. Auf alle Fälle musste ich raus: 6.45 zeigte die Uhr. Minus acht Grad sagte die Wetter-App am Handy. Minus elf das Infoscreen-Dings im Bus: Ich laufe gerne bei Kälte. Wenn man ein paar Grundregeln beachtet, ist das nämlich keine Hexerei. Der Grund-Trick: Immer in Bewegung bleiben.

©Tom Rottenberg

Ich wollte in den Prater. Von dort nach Hause laufen. Vom Bus zur U-Bahn geht es durch die Rahlgasse und über die Rahlstiege. Und schon vom Weitem sehe ich: Da liegt etwas. Etwas. Weil: „Jemand“ kann es nicht sein. Nicht bei diesen Temperaturen: Seit Tagen feuern alle Medien – klassisch wie sozial – Geschichten über und Hinweise auf Kältetelefon (01 480 45 53) und andere Services und Angebote von Caritas und Stadt: Bei diesem Wetterschläft keiner draussen. Besser: Muss keiner draussen schlafen. Außer er will es unbedingt. Die Vorgabe ist klar: Niemand darf erfrieren.

©Tom Rottenberg

Aber trotzdem: Das da ist eindeutig ein Mensch. Da liegt ein fetter Schlafsack. Drüber eine Isofolie. Eher ein Alibi. Der Hut sauber neben den dicken schwarzen Thermowurm gelegt. Der Wurm bewegt sich. Ich bleibe stehen. „Guten Morgen. Alles ok?“ Der Wurm bewegt sich noch einmal – sonst keine Reaktion. „Geht es Ihnen gut?“ Keine Reaktion. Ich tippe mit dem Fuß das Fußende des Schlafsack-Wurmes an. „Guten Morgen. Brauchen Sie Hilfe?“ Ein Brummen. „Ist alles ok?“

Jetzt gibt es eine zweite Reaktion. Irgendwas zwischen „Lass‘ mi“ und „Schleich di'“, so genau verstehe ich es nicht. Aber die Botschaft ist klar: Der da will seine Ruhe. Sein gutes Recht. Trotzdem: Ohne zu fragen geht man nicht weiter. Nicht bei diesen Temperaturen.

Riviera Maison

©Tom Rottenberg

Oben, auf der Mariahilfer Straße denk ich nochmal nach: Auch wenn der keine Hilfe will, sollten die, die sich um die Winterobdachlosen kümmern, wissen, dass es ihn gibt. Obwohl sie es vermutlich eh schon wissen. Ich greife nach dem Handy – aber das liegt daheim: Auf kurzen Stadtläufen habe ich es fast nie mit.

Ich halte zwei Passanten auf. „Können Sie bitte beim Kältetelefon anrufen? Nummer ist eh überall online. Nur sagen, dass da unten wer im Freien schläft. Die kümmern sich dann drum.“ Beide – ein Mann und eine Frau – nicken. Ich hoffe sie rufen wirklich an. Aber auch wenn nicht: Gegenüber  ist eine Schule. Spätestens wenn die Lehrer und Schüler kommen, wird jemand nochmal schauen, wie es dem Mann geht.

Im Runtergehen zur U-Bahn fällt mir etwas ein: Die Aufschrift auf dem Fenster über der Nische. „Riviera Maison“ steht da. Die Wirklichkeit ist zynischer als jede Satire.

Riviera Maison

©Tom Rottenberg

Der Lauf dann? Superfein. Unspektakulär. Anfangs frisch – aber nie kalt: Wenn man in Bewegung bleibt, ist das keine Hexerei.

Riviera Maison

©Tom Rottenberg

Ich liebe solche Läufe. Ja, auch wenn es saukalt ist. Gerade dann.

©Tom Rottenberg

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Und treffe einen Einradfahrer

©Tom Rottenberg

Dann meine ehemalige Nachbarin. Sub-3-Marathonläuferin. Damals als wir Nachbarn waren und auch heute viel zu schnell für mich.

Riviera Maison

©Tom Rottenberg

Dann kommt noch ein Einradfahrer. Next Generation: Jeder fängt mal an.

Riviera Maison

©Tom Rottenberg

Und zuletzt habe ich endlich Zeit, das Streichholz-Graffiti am Donaukanal zu fotografieren.

©Tom Rottenberg

Bei der Heimfahrt, nach nicht ganz elf Kilometern, laufen im Bus am Infoscreen tatsächlich relevante Infos – so, als wäre das abgesprochen.

Riviera Maison

©Tom Rottenberg

Und beim Vorbeifahren an der Rahlgasse schaue ich kurz noch einmal hinüber: Die Isofolie sehe ich noch. Den Schlafsack nicht mehr. Vermutlich ist der Mann aufgestanden und längst anderswo. Aber vielleicht ist er auch nur ganz in seine Nische hineingerutscht. In die „Maison Riviera“

Riviera Maison

©Tom Rottenberg

SETUP:

Schuhe: Saucony

Ausrüstung: Dynafit, Skinfit, Garmin, Gopro.

Der Track auf Strava.