Totgeburt mit Migrationshintergrund

Totgeburt mit Migrationshintergrund

Ist es wirklich Zufall, dass in den Shop, der unweigerlich nach drei Monaten wieder zusperrt, immer und auschließlich Gründer & Unternehmer einziehen, deren Deutsch nicht „schlecht“ sondern „nicht existent“ ist?

totgeburt

©Tom Rottenberg

Es gibt Läden, die braucht man gar nicht aufzusperren: Es wäre schneller, effizienter, weniger schmerzvoll und vermutlich auch mit mehr Freude verbunden, das Geld, das man da reinsteckt, auf einen Haufen zu legen und anzuzünden: Ein paar Minuten ins Feuer schauen ist allemal schöner, als monatelang auf Kunden und Umsätze zu warten, die nicht kommen. Weil sie hier nie kommen. Seit Jahren. Weil die Straße – als Geschäftsstraße – tot ist. Egal, was Berater sagen. Egal, was die Stadt sagt. Egal was die Kammer sagt. Egal, was das Gründerservice oder sonst wer sagt: Tote Straßen sind tote Straßen. Wenn man da einen Laden aufmacht, der echte, reale, Kundschaft braucht und nicht in irgendeiner Blase und – das vor allem – online hip ist, wird das hier nix werden.

Der einzige, der da was verdient, ist der Makler. Der Vermieter. Die beiden tun natürlich alles, um zu verhindern, dass der hoffnungsvolle Jungunternehmer mitkriegt, wer und was genau an diesem Standort in zwei oder drei kleinen Lokalen allein im letzten Jahr eingegangen ist: Ein Schmucketui-Shop. Zwei Handyzubehör- und Entsperrläden (inklusive Paketabwurfzone). Ein Nagelstudio. Ein Zahn-Bleach-Studio. Ein Massageladen. Noch ein Handyzubehörshop. Ein Laden für Süßkram und Vermischt-Nutzloses aus den USA. Ein Shop, der nie über Regale und das Schild „Neueröffnung – demnächst“ hinauskam. Noch ein Handyentsperrshop.

Totgeburt

Alle weg. Alle tot. Bevor sie laufen konnten. Alle vom ersten Tag an mit der gleichen Geschichte: Hinter der Budel saßen ein oder zwei „Gründer“ und warteten. Sahen hoffnungsvoll auf die Straße hinaus. Nach einer Woche war das Lächeln weg. Nach drei saßen  Verwandte oder Helfer da. Nach acht  Wochen war der Laden nur noch hin und wieder geöffnet. Bald darauf war es vorbei: Die Ware verschwand. Die Möbel folgten – und ein paar Wochen später ging alles von vorne los.

Jetzt ist also der nächste Gründer da. Ein Fliesen- und Platten-Shop. Ein Laden, der Mosaike und Natursteine anbietet – und auch „Großformate“ im Sortiment führt. Nur: Schon einen echten Schauraum dürfte es – so da kein bisher geheimer Keller-Hallenkomplex dazugemietet wurde – keinen geben. Das Lokal ist, wenn überhaupt, 50 Quadratmeter groß. Egal. Denn darauf kommt es auch schon nicht an.

Worauf es sehr wohl ankommt, ist eine Gemeinsamkeit, die all diese Shops hatten (abgesehen vom raschen Tod): Ihre Beschriftungen und ihre Werbung sprach grottenschlechtes Deutsch. Vom Deppenapostroph, kleineren Rechtschreibfehlern oder grammatikalischen Unschärfen spreche ich da nicht – sondern von Grundlegendem.

Mangelnde Sprachkenntnisse? Gar keine!

Was da an Texten in die Welt geschickt wurde, verriet auf den ersten Blick, dass die Gründer nicht einmal über die rudimentärsten Deutschkenntnisse verfügten. Dass da niemand war, der ihnen dabei zur Seite steht. Nicht, weil es wurscht ist – sondern weil auch das Umfeld keinerlei Sprachsozialisation erfahren hat, mit der sich die einfachsten organisatorischen oder administrativen Aufgaben lösen oder bewältigen lassen würden. Etwa sich darüber schlau zu machen, wer oder was da vor einem im Lokal war. Oder sich in der Nachbarschaft umzuhören. Oder Chancen und Wahrscheinlichkeiten, mit welchemshopauchimmer in dieser Lage zu überleben, auszuloten.

Es war nicht nur das Schriftliche: Ich war in jedem der Läden drinnen. Etwa um Pakete abzuholen. Oder einfach um „Hallo & alles Gute“ zu sagen. Es war – mit Ausnahme des Süßkram-Ladens, wo einer der drei Mitarbeiter halbwegs englisch konnte- immer gleich: Die Person hinter der Budel verstand mich nicht. Nicht einmal ansatzweise. Paketeabholen ging. Es war ein wortloser Dialog in Gesten. Doch  schon der Versuch, eine Handyschutzhülle zu kaufen, scheiterte an der Sprachbarriere: Der Besitzer des ersten Ladens verstand das Wort „Schutzhülle“ nicht und sah mich nur stumm und traurig an. Der im Nachfolgeladen legte wortlos Glitzer-Cover auf den Tresen. Er verstand „ohne Glitzer“ nicht – und zuckte, obwohl er eventuell Passendes im Schaufenster gehabt hätte, nur mit den Schultern.

Zahnbleiche ohne „H“

Würden Sie sich die Zähne von jemandem Bleichen lassen, der sich weigert, mit einer Frau zu sprechen, aber auch Ihnen nicht einmal sagen kann, wie lange die Prozedur überhaupt dauert? Eben. Dass den „Zähnen“ im Flyer auf der Budel einmal das „h“ fehlte: Geschenkt.

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©Tom Rottenberg

Sich über die fehlenden Sprachkenntnisse (Englisch?  Fehlanzeige) der Gründer und ihrer Mitarbeiter zu mokieren oder zu empören, greift zu kurz. Es ist billig. Zu billig: Dass Integration mit Sprachkompetenz beginnt, steht und fällt, wissen wir. Jo eh. An ancient hat.

Die Frage lautet anders:

Ist es wirklich Zufall, dass hier – und ich behaupte: wohl auch in etlichen anderen, ähnlich hoffnungslosen Lagen – de facto ausschließlich Menschen investieren, gründen und Shops eröffnen, die schon aufgrund ihrer Sprachkenntnisse nicht einmal die einfachsten Hinweise, das simpelste Zeichen, die schlichteste Warnung verstehen?

Methode und System

Kann es sein, dass da wenn schon nicht Methode, so doch System dahinter steckt? Ist es möglich, dass Menschen alleine wegen fehlender – nicht „schlechter“! – Deutschkenntnisse zu Investitionen und Unternehmungen sogar ermutigt werden, vor denen man  jeden anderen sofort warnen würde? Als Bank. Als Behörde. Als Kammer. Als Gründerservice.

Kann es sein, dass mit diesem Einfahrenlassen aber im Grunde eh alle glücklich sind, weil es nicht nur (ein ganz alter Hut) die Statistiken von Arbeitslosen bereinigt, sondern darüber hinaus am Papier auch den Leerstand reduziert und tote Straßen auf den ersten Blick weniger tot aussehen? Weil man ganz genau weiß, dass die, die es da unweigerlich auf die Pappn hauen wird, vor allem eines nicht können: Kommunizieren, wer sie da wie und wieso „beraten“ und „gefördert“ hat.

Aber I know: Das sind alles mündige, erwachsene Menschen. Geschäftsfähig. Wahlberechtigt – vermutlich sogar in Österreich. Dass sie  in einer anderen Welt leben braucht uns ja auch in diesem Themenbereich nicht zu kümmern. Noch nicht.

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©Tom Rottenberg