Die Socke, die ein Laufschuh ist: Der Nike Lunar Epic Flyknit im Test

Die Socke, die ein Laufschuh ist: Der Nike Lunar Epic Flyknit im Test

Mit dem Lunar Epic Flyknit erfindet Nike gerade den Laufschuh neu: Überknöchelhoch, batzweich und mehr Socke als Laufschuh. Mit so einem Patschen soll man laufen können?

„Schau mal“, sagte Lukas Bauernberger Samstagnachmittag stolz, „wir haben ihn schon.“ Dann zeigte Michael Buchleitners Kompagnon auf eine Socke. Die stand  – quietschentengelb – auf einem kleinen Podest gleich hinter dem Eingang in den Shop. Und eigentlich wollte ich da jetzt lieber vorbei huschen.

Zum Einen weil meine Freundin den neuen Shop von Bauernberger und Buchleitner unter die Lupe nehmen wollte und ich wissen wollte, was sie zu Interieur und Angebot von „Runinc“ – eben diesem neuen Laufshop – sagen (oder eben nicht sagen) würde. Zum Anderen weil ich dringend Kaffee brauchte – und es hier außer Laufschuhen- und -mode auch eine Espressomaschine gibt.

©Tom Rottenberg

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Und zum Dritten weil ich genau wußte, was passieren würde, wenn ich stehen bliebe: Bauernberger würde mir vom neuen Nike Lunar Epic erzählen – und mich den Schuh anprobieren lassen. Und die Wahrscheinlichkeit, dass meine Neugierde dann über meinen Kontostand siegen würde … und so weiter. Also ging ich weiter.

Blöderweise gefiel meiner Freundin der Runinc-Store nicht nur, sie ließ sich dort auch gleich neue Laufschuhe zeigen. Und noch blödererweise nehmen sich die Runinc-Leute Zeit, wenn sie Kunden, die einen Laufschuh haben wollen, über die 6000-Messpunkte-Sensorplatte laufen lassen, auf die sie so wahnsinnig stolz sind.

©Tom Rottenberg

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Nachdem ich einen Espresso inhaliert und mir von so ziemlich jedem im Laden die persönliche Lauf- und Lebensgeschichte angehört hatte (und die Leute im Gegenzug mit ein paar Seiten meines gerade entstehenden Laufbuches „Wien rennt“ – äh – „beglückt“ hatte), war mir fad. Und ich stand irgendwann dann doch vor dem quietschentengelben Sockendings: Dem Schuh mit dem Nike das Laufen neu erfunden hat. So wie das ja jeder Hersteller alle paar Jahre tut.

Omnipräsent und über den Knöchel

Der Lunar Epic ist brandneu und – angeblich – streng limitiert. Trotzdem steht er auch bei allen Mitbewerbern in der Auslage. Und ist im Netz derzeit omnipräsent. Revolutionär, heißt es da, sei so ungefähr alles an dem Teil. Vom Sohlenaufbau über die Verarbeitung bis zur Oberkante. Schon alleine deshalb, weil die oberhalb des Knöchels ist. Das hat Nike ja gerade bei Fußballschuhen  wieder eingeführt: Der Lunar Epic ist so hoch wie ein Socke. Er fühlt sich auch beim Hingreifen – beinahe – so an. „Na gib halt mal her“, ergab ich mich in mein Schicksal.

Nike Lunar Epic Flyknit

©Tom Rottenberg

Beim ersten Anziehen war mir klar: Dieser Schuh ist keine Socke – sondern ein Schlapfen. Ich stand weich, komfortabel und bequem. Das „Flyknit“-Gewebe legte sich weich, sanft und doch fest um den Fuß. Wie ein Neopren-Surfschuh. Kommod. Aber: Damit soll man laufen können?

Ein bisserl erinnerte mich das Gefühl daran, wie ich vor ein paar Jahren die „Free“ von Nike erstmals angezogen hatte: Schlapfen halt. Superbequem. Superweich. Ideal für den Sommer. Ein Schuh, den meine Füße lieben – mit dem ich aber nie mehr als zehn Kilometer laufe: Ich bin ein degenerierter, auf Laufschuhe konditionierter Städter. Das Barfussgefühl und die superflexiblen Sohlen überfordern meine Füße auf längeren Läufen. Meine großen Zehen stehen in einem grandios falschen Winkel nach außen – über sie abzurollen ist auf Dauer nur eines: Schmerzhaft.

Nike Lunar Epic Flyknit

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Während die ersten „Free“ ein schön weiches Obermaterial hatten, hatte ich bei späteren Modellen oft das Gefühl, dass mir der feste und gespannte Textilteil den Rist von oben quetschte. Ja, auch wenn ich die Schnürung ganz aufmachte. Nein, ich habe keinen hohen Rist. Dem Flyknit-Gewebe des Lunar Epic schrieb ich auf den ersten Blick die gleichen Eigenschaften zu: Wie sonst sollte ein Socken meinen Fuß sonst dauerhaft und fest an die Sohle binden? Noch dazu beim Laufen? Ich war skeptisch. Und drehte ein paar Shop-Runden.

Kein Schwamm, keine Stopptaste

Aber Hallo, saß der Schlapfen gut. Und dämpfte. Wenn ich absichtlich voll auf die Ferse knallte, war da kein wirklich unangenehmes Gefühl. Im Gegenteil. Wenn ich versuchte – zumindest halbwegs – sauber zu laufen, war da ebenfalls nix, was mich irritiert hätte: Ein bisserl Dämpfung halt. Mehr, als ich erwartet hätte. Aber dennoch: Kein Stopptasten-Gefühl. Und beim Abdruck trotz der Weichheit des Obermaterials keine Spur von Schwammigkeit oder schwabbelndem Verwackeln. Aber: Zwei Minuten im Laden heißen nicht viel.

Nike Lunar Epic Flyknit

©Tom Rottenberg

Ich seufzte: Seit Nike sein Österreich-Departement aufgelassen hat, habe ich von deren Presseleuten nie wieder was gehört. Und während in Deutschland allem Anschein nach jeder Dorf- und Vorstadtblogger gerade mit diesem Schuh ausgestattet worden ist, würde ich ihn jetzt also kaufen müssen. 180 Euro. Das Leben ist ungerecht.

Wobei: Eh besser. Da braucht man auf niemanden Rücksicht zu nehmen, wenn man Müll Müll nennt. Weil ich den Schuh aber – falls er zum Laufen nix taugen würde – als Sommerschlapfen tragen wollen würde, nahm ich einen schwarzen: Quietschentengelb ist im Alltag nicht immer kompatibel.

Sonntag war Testlauftag: Ich bin grad post-grippal und renne deshalb nur ganz sachte zurück ins Laufleben. Maximal zehn Kilometer hatte ich mir vorgeschrieben. Wirklich locker und langsam. Für so einen Schuh und meine Füße wohl ideal: Ich habe eine nicht gerade geringe Fehlstellung, brauche also Stütze. Je länger umso eindeutiger.

Nike Lunar Epic Flyknit

©Tom Rottenberg

Nur ist ein Schlapfen halt ein Schlapfen. Und eine Socke eine Socke: Ein bisserl Dämpfug, that´s it. Aber Stütze und Führung stehen nicht wirklich auf dem Beipacktext. Also: Pomali. Das hatte mir auch Michael Buchleitner am Vortag geraten: „Ich hab ihn grad ausprobiert: Wirklich fein, aber Langstrecke werde ich damit nicht laufen.“

Zwei Innensohlen

Der Schuh wird mit zwei unterschiedlichen Innensohlen geliefert. Weich und ganzweich. Ganzweich ist dicker. Aus Angst vor labbrigem Sitz legte ich die ein. Der Schlapfen saß wie angegossen. Wie ein Handschuh. Oder eine feste Socke. Ob das beim Laufen auch so sein würde?

Langer Schreibe kurzes Fazit: Ja. Weder beim normalen, lockeren Grundlagenlauf noch bei den zwei, drei Antritten zwischendurch, noch bei bewusst heftigen Landungen auf dem Ballen noch sonstirgendwann hatte ich das Gefühl, nicht fest und solide im Schuh zu stehen. Trotzdem drückte und quetschte das Flyknit-Material weder von oben noch von der Seite.

Nike Lunar Epic Flyknit

©Tom Rottenberg

Die Dämpfung war so, wie ich sie am Samstag schon geschätzt hatte. Und trotz meiner Pronations-Historie und einem latenten Zug zu Achillessehnen-Wehwechen, war da nichts, was mir auf diesem einen Lauf als beunruhigendes Signal aufgefallen wäre. Im Gegenteil: Der hochgezogene Schaft könnte vielleicht sogar eine Stütze sein, die ich bis dato nie hatte. Aber ob das so ist kann man seriöserweise nach einem einzigen Lauf nicht sagen.

Genauso wie ich nach zehn K unmöglich sagen kann, ob das Flyknit-Zeugs mich auch nach 400 oder 500 Kilometern in diesen leichten, weichen Schuhen noch so fest-sanft umfangen und fixieren wird. Oder wie die – sehr direkt und tatsächlich an die Free-Zehenabdruck-Charakteristik erinnernde — Sohle und die Dämpfung dann beinand sein werden.

Nike Lunar Epic Flyknit

©Tom Rottenberg

Diese Zehn Kilometer – großteils auf Asphalt, aber auch ein bisserl (und absolut problemlos) auf flachen Erd- und Waldwegen und in der Wiese  – haben mich jedenfalls positiv überrascht. Vom Schaft (ich hätte erwartet, dass er mich einschnürt – hat er aber nicht) bis zu Grip und Profil.

Als Option für kurze bis mittlere Läufe kommt der Lunar Epic deshalb jetzt mal ins Schuh-Team. Die HM-Distanz werde ich ihm – im Training – eventuell auch zumuten, aber bei den Läufen davor sehr genau darauf achten, was Füße, Sprunggelenke und Waden nach der „Arbeit“ sagen. Und sollte sich der Schuh mittelfristig dennoch – entgegen der Nike-Beteuerungen und so wie eiche s eigentlich erwarte – ausleiern, habe ich halt einen zwar ziemlich teuren aber immer noch brauchbaren, bequemen Sommer-Sneaker im Regal.

Nike Lunar Epic Flyknit

©Tom Rottenberg